Ausgang der EuGH-Verfahren zur deutschen Regelung der umsatzsteuerlichen Organschaft

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Die Regelung zur umsatzsteuerlichen Organschaft blickt auf eine lange Historie zurück. So fand sie bereits im Jahr 1934 Einzug in das deutsche Umsatzsteuergesetz (UStG) und beschäftigt seitdem Steuerpflichtige, Verwaltung bzw. Rechtsprechung. Im Laufe dieser Zeit gab es zwar regelmäßige Anpassungen der Anwendung dieses Rechtsinstituts in der praktischen Handhabung. An der Zulässigkeit der Organschafts-Regelung bestanden allerdings zu keinem Zeitpunkt ernstliche Zweifel, bis der Bundesfinanzhof (BFH) in Gestalt des XI. Senats dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) Fragen zur Vereinbarkeit der deutschen Vorschrift mit dem Unionsrecht vorlegte (Az. XI R 16/18 v. 11.12.19). Wenig später folgte der V. Senat in einer anderen Sache (Az. V R 40/19 v. 07.05.20).

In Artikel 11 der Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie ist von einer sog. „Mehrwertsteuer-Gruppe“ die Rede. Eine solche ist eine Art Zusammenschluss mehrerer Steuerpflichtiger, die finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch eng miteinander verbunden sind. In erster Linie soll dieses Konstrukt der Vereinfachung der Deklarationspflichten sowie der damit zusammenhängenden Kommunikation mit der Finanzverwaltung dienen. Auf den ersten Blick scheint die deutsche Regelung in § 2 Absatz 2 Nr. 2 UStG ähnlich zu sein. Ein wesentlicher Unterschied besteht jedoch in der Unternehmereigenschaft der einzelnen Organschafts-Mitglieder. Nach dem deutschen UStG ist nämlich nur der Organträger umsatzsteuerlicher Unternehmer, alle übrigen Mitglieder lediglich unselbständige Bestandteile seines umsatzsteuerlichen Unternehmens. Dementgegen geht das Unionsrecht im Grundsatz von der fortbestehenden Selbstständigkeit der Gruppenmitglieder aus. Letztlich ist die Norm im deutschen Recht weitreichender, da sie zu tatsächlichen umsatzsteuerlichen Auswirkungen führt (z. B. bei nicht steuerbaren Umsätzen innerhalb der Organschaft). Eine bloße Vereinfachung für Zwecke der Deklaration stellt sie indes nicht dar.

Am 01.12.22 hat der EuGH seine mit Spannung erwarteten Entscheidungen in den Verfahren Rs. C-269/20 (zu BFH V R 40/19) und Rs. C-141/20 (zu BFH XI R 16/18) verkündet. Insgesamt haben sich die Befürchtungen, die deutsche Regelung sei vollkommen unvereinbar mit dem Unionsrecht, nicht bewahrheitet. Diese Tatsache war nach den Anfang 2022 veröffentlichten Anträgen der Generalanwältin Medina nicht unbedingt zu erwarten. Jedenfalls ist nach Feststellung des EuGHs die Stellung des Organträgers als einziger Steuerpflichtiger zulässig. Nichtsdestotrotz sind den beiden Entscheidungen die nachfolgenden Aspekte zu entnehmen, die in Zukunft für Diskussionen und ggf. zu Änderungen des UStG führen dürften.

  • Kritisch wird u. a. der prinzipielle Verlust der Unternehmereigenschaft der einzelnen Organgesellschaften angesehen. Laut Auffassung des EuGHs verlören Organgesellschaften ihre Selbstständigkeit nicht zwangsläufig, sondern könnten auch selbst umsatzsteuerliche Unternehmer bleiben. Diese Tatsache ist vor allem im Hinblick auf die nicht steuerbaren Innenumsätze innerhalb der Organschaft von Bedeutung. Somit besteht u. U. die Möglichkeit des künftigen Wegfalls der Nichtsteuerbarkeit von organschaftlichen Innenumsätzen. In diesem Fall wären Umsätze zwischen Mitgliedern einer Organschaft wie gewöhnliche Umsätze mit fremden Dritten zu beurteilen, und zwar mit all ihren Unwägbarkeiten wie z. B. Steuerbefreiungen, ordnungsmäßigen Rechnungen, einem möglichen Vorsteuerabzug etc. In diesem Zusammenhang sollten nicht zuletzt solche Branchen die weiteren Entwicklungen aufmerksam beobachten, in denen der umsatzsteuerlichen Organschaft eine betriebswirtschaftlich bedeutende Rolle zukommt (z. B. Krankhäuser, Versicherungen, Banken und Sozialeinrichtungen).
  • Weiterhin vertritt der EuGH eine abweichende Auffassung hinsichtlich des im nationalen Recht erforderlichen „Über-/Unterordnungsverhältnisses“ zwischen Organträger und Organgesellschaft, wobei der Organträger über die Stimmrechtsmehrheit in den Organgesellschaften verfügen muss (die kapitalmäßige Mehrheitsbeteiligung ist nicht entscheidend). Laut EuGH könnten nämlich auch gleichrangige Personen (z. B. Schwestergesellschaften) eine Organschaft bzw. Mehrwertsteuer-Gruppe bilden. Zwar könne ein Über-/Unterordnungsverhältnis durchaus auf eine enge Verbundenheit hinweisen. Entscheidend sei in erster Linie jedoch die (wirtschaftlich) enge Verbindung zwischen den Gruppenmitgliedern. Auch die Entwicklungen zu diesen Punkt gilt es zukünftig zu beobachten.

Insgesamt ist nun abzuwarten, wie die beiden BFH-Senate bzw. die Finanzverwaltung auf die EuGH-Entscheidungen reagieren werden. Zudem ist auch der Gesetzgeber gefragt, den § 2 Absatz 2 Nr. 2 UStG zumindest nochmal zu überdenken und ggf. Anpassungen vorzunehmen, um eine verbesserte Kompatibilität mit dem Unionsrecht herzustellen.

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